Buchcover
'De la philosophie'.: Anonymes Manuskript in französischer Sprache, Tinte auf bläulichem Papier, um 1796/98. Blattgröße ca. 19,5 x 16 cm. (334) S. mit 3 großen Illustrationen, einfacher Pergamentumschlag der Zeit unter Verwendung älteren Materials (Kapitale mit Einrissen und kl. Fehlstellen, Umschlag fleckig).

"Die Handschrift enthält die vier traditionellen Teile eines Philosophiekurses : Logik, Moralphilosophie, Metaphysik und Physik. Der Autor spricht sich zwar in der Einleitung für einen fünften Teil und zwar die Mathematik aus, behandelt Mathematik aber dann doch nicht als eigenständigen Teil. Im ersten Teil, der Logik, werden auch die bekannten Themen, wie Syllogismen (S. 22ff) etc. vorgestellt, dem gehen jedoch erkenntnistheoretische Überlegungen zum Problem der 'Wahrheit' voraus: ""On distingue les idées en vraies et en fausses: quique au fond il n'y ait que des idées vraies. De loin j'appercois un gros chien, de certain couleur, et j'assure aussitôt que je vois un loup. C'est une erreur: mon imagination voit un loup: je m'en fais un image en moi même; ainsi cette idée est vraye en ce qu'elle conforme à ce que constitue un loup; mais elle est fausse en ce que j'applique l'idée que j'ai présent à l'esprit d'un vrai loup à ce chien que je ne vois pas assez distinctement."" (S.9). Deshalb, so der Autor, sind Zweifel an dem was wir für wahr halten immer angebracht; allerdings darf der Zweifel nie die Grundlagen der Religion erfassen, denn ""c'est précisement cette manie de tout soumettre aux calculs de son petit genie qui a produit tous les incredules qui deshonorent aujourd'hui l'Europe entière."" (S. 14). In welchem Verhältnis Materie und Geist, Seele und Himmel zu stehen haben verdeutlicht der Autor durch die Zeichnung des sogenannten 'Pourcot-Baumes'. (S. 47). Edm. Pourchot (1651 - 1734) war Professor der Philosophie und hatte 1695 seine 'Institutiones philosophicae' veröffentlicht. Das zweite Kapitel, die Metaphysik, beginnt mit der Auflistung der acht ehernen Prinzipien, deren letzte schlicht heißt ""il existe un Dieu"" (S. 61), woraufhin ein Gottesbeweis angetreten wird. Das dritte Kapitel behandelt die Moralphilosophie (S. 89 ff) und ist ein Zeugnis für die Wirksamkeit der aufklärerischen Ideen von Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit: ""il faut obeir au puissance legitime"" (S. 95), allerdings nur unter der Voraussetzung umfassender Gerechtigkeit. Das höchste Ziel des Staates muß es sein ""de rendre heureux les citoyens"" (S. 98). Als oberste Maxime, die das Handeln der Bürger bestimmt, soll gelten : ""Ne faites point aux autres, ce que vous ne voudriez pas que des autres fissent contre vous"" - der Einfluß von Kants 'Kategorischem Imperativ' ist unübersehbar. Zeugen vor Gericht sollen aufrichtig sein, in den Familien soll Gerechtigkeit und gegenseitige Rücksichtnahme herrschen, der 'contract social' wird erwähnt (S. 115), und es wird festgestellt: ""nous sommes tous frères et egaux par nature"" (S. 117). Kriege sind ein notwendiges Übel und sollen ohne Grausamkeit geführt werden (S. 118 f.), Duelle sind zu ächten (S. 119 f.) und der Selbstmord wird abgelehnt (S. 120), der Wucher soll abgeschafft werden (S. 124). Den gesellschaftlichen Imperativen folgen die auf die Individuen bezogenen; im 'Traité des passions' (S. 129 ff.) behandelt der Autor die 7 Todsünden. Das ausführlichste Kapitel ist der Physik, bzw. der Naturlehre gewidmet. In aristotelischer Tradition werden zunächst Astronomie und geophysikalische Phänomene, wie Wasser, Wolken, Schnee, Nebel, Blitz, Echo, Licht, Ebbe und Flut, Magnetismus und schließlich Elektrizität, als deren Entdecker B. Franklin gewürdigt wird, untersucht. Die Handschrift schließt mit der Anatomie (S. 263 ff.) und einer Nachbetrachtung zum Sonnensystem. Die Datierung des Manuskripts bezieht sich auf die Erwähnung der napoleonischen Kriege in Italien (S. 118). Nur wenige Jahre nach dem Sturz Robbespierres verfasst, schwankt der Autor gleichsam zwischen katholischer Tradition und aufklärerischer Moderne. In der Erkenntnistheorie skeptisch bis relativistisch, im Glauben dogmatisch, in der Gesellschaftstheorie den Prinzipien der französischen Revolution verpflichtet und in den Naturwissenschaften dem modernen Wissenschaftsideal verpflichtet, findet sich hier eine mit Sicherheit zeittypische Mischung, die erst nach den napoleonischen Kriegen europaweit zu jener praktikablen Modernität wurde, in der wir heute leben. - Das erste und das letzte Blatt etwas fleckig."
Preis: 1300 EUR